KULTURFRÜHSTÜCK VOM 8. OKTOBER 2017
14. Oktober 2017BILDUNGSREISE NACH BRÜSSEL
22. Oktober 2017
Feuer frei am 06.10. 2017
nun war es wieder soweit und unsere zweite Diskussionsrunde in diesem Jahr konnte beginnen. Schon im Vorfeld hatte Jan Eichler, der Moderator uns alle mithilfe von Videos spannend eingestimmt; kein Wunder, dass er vor einem überaus gespannten und erwartungsvollem Publikum begrüßen durfte. Schätzungsweise 50 Personen waren gekommen um mit ihm über den Wandel der Gesellschaft – Quo Vadis – zu diskutieren. Wie sieht die Zukunft der Gehörlosenverbände und -vereine aus, dies war die Hauptfrage des heutigen Abends.
Mit dem Moderator diskutierten auf der Bühne Martin Domke, Ehrenvorsitzender des Landesverbandes der Gehörlosen in Sachsen, Martin Magiera, der Vorsitzende des Landesverbandes der Gehörlosen NRW und Daniel Büter vom Deutschen Gehörlosen Bund, der dort das Amt des Referenten für politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit innehat. Und natürlich durfte auch wieder ein Gast aus dem Publikum nicht fehlen. Zu aller Überraschung meldete sich Marian Duran, eine Spanierin, die gerade auf Deutschlandbesuch war und gebärdete äußerst temperamentvoll in ISL.
Gleich zu Beginn entführte Jan Eichler das interessierte Publikum zu einer Reise um die Welt; wie sieht es mit den Gehörlosen im Vereinsleben in Südamerika, Sydney, Auckland und Asien aus? Die Antworten waren allesamt äußerst ernüchternd: In Südamerika gab/gibt es keine Vereine, und in Sydney treffen sich Gehörlose Freitagabends im Pub. Auckland weist als einzige Großstadt in Neuseeland Gehörlosenschulen, -vereine und -verbände auf. Der Rest im Land ist gleich Null. Und das, obwohl die Gebärdensprache in Neuseeland als Amtssprache anerkannt ist!
Sogar in China beschränken sich die sozialen Kontakte unter Tauben auf private Treffen, es existiert noch nicht mal ein Clubheim. Einhelliger Tenor unter dem Publikum: wer hätte das gedacht?
Wobei natürlich auch nicht unerwähnt bleiben darf, dass die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter dort schon genutzt werden.
Verdeutlicht wurde das aktuelle Thema aber auch durch Einblendung alter Bilder aus Gehörlosenvereinen: dort war „die Bude stets voll“. Selbstverständlich muss hierbei auch berücksichtigt werden, dass es damals weder Schreibtelefon, Handy, o.ä. gegeben hat; wie sonst sollte man die neuesten Informationen austauschen, bzw. weitergeben? Jedoch zählte vor allem auch der gute Wille zum Wiedersehen und Gemeinsamkeit. In der heutigen Zeit, wo alle Infos über sämtliche sozialen Netzwerke laufen, ist es ja auch Komfort geworden, einfach zu Hause sitzenzubleiben, anstatt wegzufahren und andere zu treffen.
Martin Domke berichtete, dass vor dem Mauerfall sämtliche Gehörlose bereit waren, Ehrenämter zu übernehmen, es herrschte stets reges Treiben in der Vereinsarbeit. Sogar eine „Zwangsheirat“ mussten sie über sich ergehen lassen, so nannte er es, als Schwerhörige mit in die Vereine eintraten. Die Gehörlosen wollten lieber unter sich sein.
Die nächste Filmeinblendung zeigte eine Umfrage unter gehörlosen Menschen an. wieviele sind der Meinung, ob die Vereine und Verbände keine Zukunft haben? Hier die Antworten:
Ja: 95
Nein: 63
Weiß nicht: 62
Auf die Feststellung des Moderators, wie man diese negative Entwicklung stoppen und den Entwicklungstrend der heutigen Zeit anpassen könnte, schlug Martin Dome unter anderem vor, das Gehörlosengeld als Vereinsbeitrag zu nehmen; Martin Magiera ist der Meinung, niemals aufgeben, um Mitglieder zu werben. Dazu wurde auch Ludwig Herb vom EUD im Interview eingeblendet; er betonte, wie wichtig die ehrenamtliche Tätigkeiten seien und ohne geht es nicht. Er möchte durch seine Arbeit in der EUD ( European Union of the Deaf) Erfahrungen holen und dann in Deutschland umsetzen.
Aus den USA kamen Marsha Wetzel und Pinky Gehrcke zu Wort, das dort sehr viel über soziale Netzwerke kommuniziert und persönlich weniger gesehen wird; Pinky sagte, hier in Deutschland wäre das noch anders und so auch viel schöner. Marian Duran berichtete unterdessen, dass es in Spanien ähnlich zuginge wie hierzulande bei uns. Auch dort schrumpfen die Mitgliederzahlen und es ist schwer, sich dann auf politischer Ebene durchzusetzen.
Martin Magiera appellierte an das Verantwortungsbewusstsein: Wer kämpft dann noch für uns Taube in NRW, wenn die Mitglieder und Ehrenamtler immer weniger werden? Wie kann der Landesverband die Flut an Arbeit und Unterstützung aller noch bewältigen?
Daniel Büter vom DGB konnte mit der Thematik nicht so richtig umgehen und bot an, wer Ideen zur Veränderung habe, solle sie doch bitte dem DGB übermitteln. Derjenige würde dann auch angehört.
Ein weiteres Interview wurde angezeigt, dort sprach Ilja Khenkine gewiss im Sinne von vielen jungen Tauben, als er sagte, Mitglied in einem Verein zu sein ist nicht mehr zeitgemäß, an zuviel Erwartungshaltung und Druck gebunden und wenig kooperativ. Ihm ist es lieber, ein gemeinsames Projekt anzusteuern, es erfolgreich durchzuführen und dann unverbindlich wieder jeder seiner Wege zu gehen. Unter vereinzeltem Beifall aus dem Publikum erwiderte Jan Eichler, wenn wir uns der Jugend anpassen, mit der Zeit gehen, profitieren doch beide Seiten auch vom Erfolg!
Der DGB vertritt seit 1979 die Ansicht, dass 80.000 Gehörlose in Deutschland leben. Merkwürdigerweise ändert sich diese Zahl nicht. Tatsächlich gibt es zuverlässige Statistiken, die besagen, dass es mittlerweile 500.000 „Gebärdensprachler“ gibt. Diese Tatsache mutet schon seltsam an.
Daniel Büter berichtet unterdessen, dass der DGB sehr wohl seine Strukturen bereits geändert habe und sie auch auf dem besten Wege sind, sich zu verändern, indem man mit der EUD zusammenarbeitet und auch Kommunikation stets gewährleisten kann zwischen dem DGB und einzelnen Landesverbänden. Jan Eichler wirft jedoch ein, dass der Deutsche Gehörlosenbund als unser aller Dachverband weder eine längerfristige Planung, noch die notwendigen Ressourcen vorweisen kann, um auch in Zukunft als solcher weiter bestehen zu können.
Als finalen Abschluss durften die Zuschauer ihre Fragen an die Diskussionsteilnehmer stellen. Hierbei kam jedoch fast einhellig die Meinung heraus, dass der DGB noch gewaltig an sich arbeiten müsse, wenn er weiter unser aller Vertreter zu bleiben. Die jugendlichen Zuschauer bemängelten die fehlende Präsenz in sozialen Netzwerken sowie eine transparente Öffentlichkeitsarbeit.
An dieser Stelle bedanken wir uns nochmals für einen interessanten, manchmal auch impulsiven und überaus unterhaltsamen Diskussionsabend und laden jetzt schon ein zur nächsten Feuer frei Runde am 20. April 2018 mit dem vielversprechenden Thema
„Was ist die richtige Bezeichnung für uns? Gebärdensprachgemeinschaft oder Gehörlos/Schwerhörig/Hörbehindert/Hörgeschädigt? Wie und worüber definieren wir uns?
Hier nun zum Video: