- Deutsche Gebärdensprache, was ist das?
- Geschichte der Gebärdensprachen
- Tipps für Hörende ohne Gebärdensprachkompetenz – Umgang mit Gehörlosen
- Wisst Ihr, dass…
- Fünf Gründe, warum ihr noch heute Gebärdensprache lernen solltet
Deutsche Gebärdensprache, was ist das?
Gebärdensprachen sind eigenständige, vollwertige Sprachsysteme, die Gehörlose/Hör-behinderte in ihren verschiedenen nationalen und regionalen Gehörlosengemeinschaften (Taubengemeinschaft) untereinander ausgebildet haben. Anders als die akustisch-auditiv verfahrenden Lautsprachen werden die Gebärdensprachen visuell-motorisch realisiert. Sie sind nicht mit den nonverbalen Kommunikationsmitteln Hörender identisch (Körpersprache), sondern ausdifferenzierte Zeichensysteme, die über ein umfassendes Lexikon und eine komplexe Grammatik verfügen. Jedoch ist die Gebärdensprache der Lautsprache ebenbürtig und sie ist Basissprache der Gehörlosen und ihrer Kultur, seit 2002 ist sie in Deutschland offiziell anerkannt.
Für die Kommunikation unter Gehörlosengemeinschaft gelten die folgenden allgemeinen Bedingungen:
- Die Verständigung folgt anderen als den in der Lautsprache üblichen Konventionen bzw. grammatischen Regeln.
- Das gesamte sichtbare Ausdrucksrepertoire des Körpers (Hände, Arme, Oberkörper, Kopf, Gesicht) wird ausgeschöpft.
Mitteilungen sind vorzugsweise visuell eindeutig und prägnant. Die räumliche Dimension der körperlichen Darstellung spielt dabei eine besondere Rolle. Häufig wird fälschlicherweise angenommen, Gebärdensprache sei eine universale Sprache und meistens geht dies mit der irrigen Vorstellung einher, bei der Gebärdensprache handele es sich um eine bewusst konstruierte und eingeführte Sprache. Tatsächlich jedoch sind die verschiedenen Gebärdensprachen wie gesprochene Sprachen auch in bestimmten Benutzergemeinschaften naturwüchsig entstanden und unterscheiden sich von Land zu Land. Mit der Bezeichnung “Deutsche Gebärdensprache” (DGS) grenzen die Gehörlosen Deutschlands ihre Gebärdensprache von anderen Gebärdensprachen wie etwa der Französischen, Britischen oder Amerikanischen Gebärdensprache ab. Zwischen den verschiedenen nationalen Gebärdensprachen bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Form und Verwendung von Gebärden. Angesichts der nonverbalen Basis aller Gebärdensprachen können andererseits gewisse grundsätzliche Ähnlichkeiten nicht überraschen. Wie bereits erwähnt, ist die Deutsche Gebärdensprache dialektal gegliedert, d.h., in unterschiedlichen Regionen Deutschlands werden gleiche Inhalte zum Teil mit unterschiedlichen Gebärden bezeichnet. Die innerhalb der deutschen Gehörlosengemeinschaft gewachsene Gebärdensprache folgt eigenen Regeln, die sich von den Regeln der gesprochenen deutschen Sprache deutlich unterscheiden. Im Mittelpunkt der gebärdensprachlichen Verständigung stehen die Gebärden, die konventionellen Handzeichen Gehörloser also, aber auch Mimik, Körperausdruck und tonlos gesprochene Wörter sind von großer Bedeutung. Gebärden werden zu Folgen und Sätzen verknüpft, die eine ganz andere Reihenfolge und einen ganz andern Aufbau haben als bedeutungsgleiche Sätze der Lautsprache. Satzarten (Aussagesätze, Fragen, Befehlssätze) werden mimisch markiert. Beziehungen zwischen Satzteilen (Subjekt, Objekt) werden durch die Ausführungsrichtung der Verbgebärde gekennzeichnet. Personen und Objekte werden im Gebärdenraum platziert und stehen für weitere Bezugnahmen zur Verfügung. Räumliche Verhältnisse werden durch eine analog räumliche Darstellung der Hände wiedergegeben. Der Bewegungsaspekt vieler vorgangsbezeichnender Gebärden kann modifiziert werden, um die Verlaufsweise eines bestimmten Vorgangs zu charakterisieren.
Satzbeispiele:
Wie geht es Dir? – DU “Körper” GUT ?
Wir lernen heute DGS – HEUTE WIR DGS LERNEN
Hörende und Gehörlose sind gleich – HÖRENDE GEHÖRLOSE GLEICH
Die Zitate wurden den Informationsschriften des SIGNUM-Verlages
Website : www.signum-verlag.de
“Eine Minderheit verschafft sich Gehör” und
“Hörgeschädigte Kinder-gehörlose Erwachsene” entnommen.
Mehr Infos findet Ihr auch per Film unter:
Geschichte der Gebärdensprachen
Weil die Gebärdensprachen eigenständige und vollständig entwickelte Sprachen sind, haben sie, wie auch die Lautsprachen, eine Geschichte.
Einleitung
Es müsste wohl schon immer gewisse relativ einfache Gebärdensprachen gegeben haben, die spontan entstanden und sich über einen längeren Zeitraum entwickelt haben.
Darüber weiß die Geschichte sehr wenig. Schon Plato, Augustinus und Leonardo da Vinci berichteten über gebärdende taube Personen. Im jüdischen Talmud wird die Eheschließung von tauben Ehewilligen in Gebärden erwähnt. Die bekannte Geschichte der modernen Gebärdensprachen beginnt erst im 18. Jahrhundert mit der Bildung tauber Kinder.
Anfänge
Gebärdensprache entstand überall dort, wo sich taube Menschen trafen.
Sie wuchs aus einfachen Zeige- oder Hinweis-Gebärden, skizzierenden Nachbildungen von Gegenständen mit einer oder beiden Händen und pantomimischen Nachbildungen von Handlungen.
Mit zunehmendem Umfang erhielten die Gebärdenzeichen auch eine strukturierende Abfolge, eine Grammatik. Gebärdensprachsysteme, die an verschiedenen Orten in verschiedenen Gruppen entstanden, gleichen sich nicht, haben aber ähnliche Strukturen. Ein Hindernis für die gleichmäßige Entstehung und Verbreitung war die Verstreutheit von jeweils nur kleinen Gruppen von tauben Personen.
Eine stabilisierende Entwicklung erfuhren Gebärdensprachen mit der pädagogischen Betreuung von tauben Kindern, die zuerst in privilegierten Kreisen, beispielsweise durch den Mönch Pedro Ponce de León in Spanien, der um 1550 Gebärden vom Kloster San Salvador de Ona verwendete, um taube Kinder der Adligen zu unterrichten.
Gründer der ersten öffentlichen Schule für taube Kinder war 1755 in Paris der Geistliche Abbé de l’Epée. Er hatte dort Mitte des 18. Jahrhunderts die Gehörlosen gesehen, die in Straßen mit Händen miteinander sprachen. Darüber hatte schon der taube Buchbinder Pierre Desloges 1779 in einem kleinen Buch “Beobachtungen” berichtet, wie er selbst mit anderen tauben ungeschulten Erwachsenen in Gebärden “über alles, was es unter der Sonne gibt” unterhalten hatte. De l’Epée merkte schnell, dass diese Sprache die Basis für die Erziehung der tauben Kinder bilden könnte.
Nach der Gründung seiner Schule für taube Kinder wurde unter seiner Leitung aus den “Straßengebärden” mit Hilfe der französischen Grammatik eine ausgebaute Gebärdensprache entwickelt (siehe Ausbausprache). Diese Gebärdensprache verbreitete sich schnell und wurde populär. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es 21 Schulen für taube Kinder, an denen jedoch zum Teil auch versucht wurde, tauben Kindern primär die Lautsprache beizubringen.
Nichtsdestoweniger nutzten die Kinder in oralen Schulen die Zeit, in der die Lehrer sie nicht im Auge behalten konnten, um sich untereinander in Gebärdensprache zu unterhalten. Die Schulen für taube Kinder waren damit in jedem Fall die Orte, an denen sich die Gebärdensprache weiter entwickelte oder immer wieder neu im Untergrund entstand, wo sie verboten war.
1816 lernte der taube Absolvent der oben erwähnten Schule in Paris und Lehrer Laurent Clerc an derselben Schule den US-amerikanischen Geistlichen Thomas Hopkins Gallaudet kennen. Dieser reiste zur Erforschung der Erziehung und Bildung für taube Kinder nach England und Frankreich. Daraufhin entschloss sich Clerc mit Gallaudet nach Amerika zu gehen, um sich dort die Schulbildung für taube Kinder anzufangen. Nachdem Clerc und Gallaudet 1817 in Hartford, Connecticut, das “American Asylum for the Deaf” gegründet hatten, wurde dort die American Sign Language (ASL) entwickelt. ASL verbreitete sich schnell in anderen Bundesstaaten der U.S.A. und Kanada. Im Jahre 1864 entstand in Washington D.C. die erste höherbildende Institution für taube Studenten mit Edward Miner Gallaudet, dem jüngsten Sohn von Thomas H. Gallaudet als Präsident. Später bekam sie den Namen “Gallaudet College” zu Ehren von Thomas H. Gallaudet und dann “Gallaudet University”. Dieser Institution verdankt sich die weitestgehende Standardisierung der ASL in den ganzen U.S.A. und in englischsprechenden Teilen von Kanada.
Rückschläge
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es jedoch populär, taube Kinder nur zum Sprechen zu erziehen. Die sogenannten “Oralisten”, von denen keiner taub war, bekämpften die Gebärdensprache mit allen Mitteln. Sie wurde als “Affensprache” hingestellt. Diese Ansicht führte 1880 zu dem Beschluss beim internationalen Taubstummenlehrerkongress in Mailand, die Gebärdensprache generell vom Unterricht zu verbannen und nur Sprechen zuzulassen. Danach wurde die Gebärdensprache in fast allen Schulen aller Länder verboten. Bis heute hat die Gebärdensprache nicht mehr die gleiche Stellung wiedererlangt, die sie vorher hatte. In Frankreich wurde erst 1991 das Gebärdenverbot in Schulen für taube Kinder per Gesetz aufgehoben.
Wissenschaftliche Erforschung
Der hörende Pädagoge und Linguist Bernard Tervoort in den Niederlanden hatte schon 1953 den Wert der Gebärdensprache für die Kommunikation zwischen den tauben Menschen betont, bevor William Stokoe, ein hörender Linguist am Gallaudet College, 1960 die Strukturen der amerikanischen Gebärdensprache mit den Mitteln der modernen Linguistik untersuchte und überzeugend bewies, dass Gebärdensprache der Lautsprache in nichts nachsteht.
Seit 1975 wurde die Deutsche Gebärdensprache (DGS) systematisch von dem Linguisten Siegmund Prillwitz erforscht.
Desgleichen wird die Gebärdensprache auch in Universitäten in anderen europäischen Ländern erforscht, vor allem in Schweden und Großbritannien.
Seit 1977 erschienen in Deutschland die sog. “Blauen Bücher” ‘Die Gebärden der Gehörlosen’ von den Gehörlosen-Pädagogen Starcke, Maisch und Wisch.
Etwa 1982 entstand unter der Leitung von Prillwitz das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser.
Etwa seit 1985 wuchs in Deutschland in den Kreisen der tauben Menschen ein stolzes Selbstbewusstsein durch die Erkenntnis über die Vollwertigkeit ihrer Gebärdensprache.
Tipps für Hörende ohne Gebärdensprachkompetenz – Umgang mit Gehörlosen
Der Gehörlose kann in der Kommunikation mit hörenden Menschen verunsichert sein, ähnlich wie der hörende Mensch in der Kommunikation mit gehörlosen Menschen. Diese Tipps sollen zu einer Kommunikation beitragen, die für beide Seiten zufrieden stellend ist.
Kontaktaufnahme?
Winken Sie mit der Hand oder nicken Sie mit den Kopf. Dann weiß der Gehörlose, dass Sie mit ihm sprechen wollen. Bitte nicht von hinten ansprechen! Der Gehörlose hört Sie nicht.
Blickkontakt!
Beginnen Sie erst zu sprechen, wenn der andere Sie anschaut und halten Sie beim Sprechen Blickkontakt.
Gute Beleuchtung!
Achten Sie darauf, dass Ihr Gesicht gut beleuchtet ist (Gegenlicht vermeiden, sonst wird der Gehörlose geblendet und kann nicht gut absehen).
Gesprächsthema?
Geben Sie das jeweilige Gesprächsthema am Anfang bekannt.
Fragen ankündigen!
Kündigen Sie Ihre Fragen an. Sagen Sie: „Ich frage Sie!“ Dann stellen Sie Ihre Frage. „W-Fragen“ sind leichter zu verstehen: wer, was, wann, warum, wo, wohin…?
Deutliches Mundbild!
Sprechen Sie mit deutlichem Mundbild (= Mundbewegungen), aber nicht übertrieben. Sonst wird Ihr Mundbild verzerrt.
Langsam sprechen!
Sprechen Sie eher in langsamem Tempo.
Nicht schreien!
Sprechen Sie in normaler Lautstärke. Schreien nützt nichts, da der Gehörlose Sie nicht hören kann.
Kurze Sätze!
Verwenden Sie kurze, aber vollständige Sätze.
Keine Fremdwörter!
Vermeiden Sie Fremdwörter.
Aufschreiben!
Schreiben Sie wichtige Informationen auf (Termine, Namen, Adressen).
Alles verstanden?
Vergewissern Sie sich immer wieder, ob alles richtig verstanden wurde. Fragen Sie nach, was verstanden wurde. Scheuen Sie sich nicht vor Wiederholungen. Klären Sie Missverständnisse offen und freundlich.
Gestik, Mimik und Körpersprache!
Unterstützen Sie das, was Sie sagen, durch natürliche Gesten, Mimik und Körpersprache. Das hilft verstehen und ersetzt das, was in der Lautsprache mit der Sprachmelodie vermittelt wird.
DolmetscherInnen für Gebärdensprache?
Sie können bei uns über den Link: Organisationen > Unternehmen > Skarabee bzw. Manos DolmetscherIn beauftragen.
Gebärdensprache und Fingeralphabet?
Lernen Sie ein paar Gebärden und das Fingeralphabet, wenn Sie häufiger mit Hörgeschädigten zu tun haben. Die Gebärdensprache gehört wohl zu den schönsten und lebendigen Sprache.
Weitere Informationen über die Gebärdensprache und ihre Kultur:
Ihr findet auf unsere Seite über das Menüfenster > Service > Weblink vers. Internetanbietern.
Interessanter Link:
https://www.youtube.com/user/gebaerdenservice
Wisst Ihr, dass…
- …in Deutschland ca. knapp ½ Mio. Menschen leben, die die deutsche Gebärdensprache kommunizieren?
- … der Begriff „taubstumm“ nicht zeitgemäß ist? Sprachgeschichtlich kommt „taubstumm“ von „doof und dumm“ und sollte daher nur noch in historischer Verwendung gebraucht werden. Der politisch korrekt Begriff lautet noch „gehörlos“. Zur Zeit wird diesen Begriff „gehörlos“ thematisiert, ob dieser Begriff korrekt ist.
- …die Gebärdensprachgemeinschaft eine eigene Kultur und Sprache hat?
- …Gehörlose/Hörbehinderte durch ein gezieltes Training sprechen lernen können? Ihre Aussprache bleibt wegen der fehlenden akustischen Eigenkontrolle für Außenstehende jedoch in der Regel schwer verständlich.
- …nur etwa 20% des Gesprochenen unter optimalen Bedingungen von den Lippen abzusehen sind? 80% müssen erraten werden.
- …auch die operative Einpflanzung einer Innenohrprothese (Cochlear-Implantat, kurz CI) aus Gehörlosen/Hörbehinderten keine hörenden Menschen macht? Selbst bei guter Hör- und Sprachentwicklung bleibt auch nach der Operation eine Hörbehinderung bestehen.
- …in der Frühförderung und Schulausbildung von gehörlosen, schwerhörigen und mit Cochlear Implantat (CI) versorgten Kindern die Gebärdensprache noch immer keine Selbstverständlichkeit ist? An den meisten Schulen für Hörbehinderte wird nicht in Gebärdensprache unterrichtet, sondern rein lautsprachlich – auf Kosten inhaltlicher Wissensvermittlung.
- …für die meisten Gehörlosen/Hörbehinderten der Umgang mit Schriftsprache zeitlebens schwierig bleibt? Viele beherrschen das Deutsche in Wortschatz und Grammatik nur eingeschränkt. Das liegt daran, dass Gehörlosen/Hörbehinderten der Zugang zu Schrift über die Lautsprache nicht möglich ist. Weil Gehörlose/Hörbehinderte dennoch zumeist nur lautsprachlich gefördert werden, erlernen sie die Schriftsprache oft nur lückenhaft.
- …mit der Gebärdensprache ein vollwertiges Kommunikationsmittel zur Verfügung steht, mit dem alles ausgedrückt werden kann? Gebärdensprachen sind komplexe Sprachen mit eigener Grammatik und umfangreichem Gebärdenwortschatz, die überall dort entstanden sind, wo es Gebärdensprachgemeinschaften gab. Sie sind weltweit verschieden und es gibt auch Dialekte.
- …die Gebärdensprache die lautsprachliche Entwicklung und die Schrift- und Lesekompetenz von gehörlosen, schwerhörigen und mit Cochlear Implantat (CI) versorgten Kindern verbessert?
- …Gehörlose/Hörbehinderte eine eigene Gebärdensprachgemeinschaft und Gehörlosenkultur (mit speziellen Veranstaltungen, Theater, Poesie, bildender Kunst, Sport u. a. wie z. B. Deaflympics, Welt- und Europameisterschaften) entwickelt haben, deren Basis die Gebärdensprache und die visuelle Wahrnehmung der Welt ist?
- … die meisten Gehörlosen/Hörbehinderten sich mit der Gebärdensprachgemeinschaft identifizieren und das Hören als solches gar nicht vermissen. Die meisten gehörlosen/hör-behinderten Erwachsenen betrachten ihre Gehörlosigkeit nicht als „behandlungsbedürftige Behinderung“, sondern als sprachliche Besonderheit.